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Dr. phil. Dieter Fricke

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Die Rede in Minsk - Erinnerung an die Deportation der Bremer Juden 1942 nach Weißrussland



Minsk
(Gedenkfeier in Minsk / Weißrussland im November 2002)
Bei der Enthüllung eines Erinnerungssteines für die Bremer Juden auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos sprach ich im Beisein von Vertretern des Bremischen Senats und der Bremischen Bürgerschaft, der Botschaften Israels und Deutschlands in Minsk, der weißrussischen Hauptstadt und der jüdischen Gemeinden von Minsk und Bremen.



Bewegt von großer Trauer, Ehrfurcht und Scham stehen wir an diesem Gedenkort. Unsere Gedanken gehen heute weit zurück. Und die Erinnerung an das, was vor mehr als einem halben Jahrhundert geschah, macht nahezu sprachlos. Denn die Gräuel, die damals von barbarischen Nazis in den Mauern der Stadt Minsk angerichtet wurden, sind heute fast vergessen, wohl nicht zuletzt deshalb, weil es kaum Überlebende gab, die Zeugnis hätten ablegen können. 
Ein großer Teil der jüdischen Gemeinde Bremens ist 1942 ins Ghetto von Minsk deportiert worden. Kaum jemand in Bremen hat damals protestiert, als seine Nachbarn zum Bahnhof getrieben wurden, zu sehr war die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung wohl schon zur Gewohnheit, zur Alltäglichkeit, zur Normalität geworden. Nach jahrelangem Unrecht, nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ 1935, nach der Reichspogromnacht vom November 1938, nach vielerlei Entrechtungen, nach Enteignungen, Vertreibungen und alltäglichen Demütigungen, traten etwa 500 jüdische Bremer ihre Reise nach Osten an, nur 20 sollten sie überleben. Bremer Bürgerinnen und Bürger waren sie wie wir.

Nazikarikatur: Einige Tage vor ihrer Zwangsdeportation mussten sie ein Dokument unterschreiben, in dem es hieß: „Ich, der unterzeichnende Jude, bestätige hiermit, ein Feind der deutschen Regierung zu sein und als solcher kein Anrecht auf das von mir zurückgelassene Eigentum zu haben. Meine deutsche Staatsbürgerschaft ist hiermit aufgehoben!“

Für die längst völlig hilflosen und ausgelieferten Opfer damals vielleicht nur eine unwichtige Randerscheinung mehr in einem längst rechtlos gewordenen Dasein, aber doch auch ein erschreckendes Zeichen der Verächtlichkeit und der mutwilligen Demütigung, mit denen die Nationalsozialisten ihren vermeintlichen „Feinden“ begegneten.

Wer waren diese Bremer Juden, die erst im Zweiten Kaiserreich und den Jahren der Weimarer Republik ihre volle Gleichberechtigung erlangt hatten? Viele waren es ohnehin nie, dafür hatte eine seit Jahrhunderten antisemitische Politik von Rat, Senat, Kirchen und Bremer Bürgern nachdrücklich gesorgt. Eine Handvoll Kaufleute, eine paar Bankiers, viele kleine Geschäftsleute, Arbeiter und Angestellte – kein Unterschied zur Sozialstruktur der übrigen Bevölkerung.  Die meisten von ihnen hatten zum Wachsen und Blühen ihrer Heimatstadt beigetragen, sie hatten gern in Bremen gelebt - vielfach im guten Einvernehmen mit ihren nicht-jüdischen Nachbarn  - und sie hatten an Recht und Ordnung geglaubt, wohl auch an den vielbeschworenen liberalen und toleranten Geist einer „Freien Hansestadt“. Etliche waren rechtzeitig emigriert, doch die meisten blieben – im guten Glauben an deutsche Rechtsstaatlichkeit und Kultur – in Bremen. Und sie sollten dieses Vertrauen in Anständigkeit und Zivilisiertheit bitter bereuen.      

Nach tagelanger Fahrt langten sie schließlich in Minsk an, die jüdischen Deutschen aus Bremen und Hamburg, aus dem Regierungsbezirk Stade und aus Verden – und die rohen Männer der SS empfingen sie „standesgemäß“ mit Peitschenhieben, mit Bajonetten und Gewehrkolben. Ein Transport von vielen.

Das „Leben“ im Ghetto war nahezu unbeschreiblich. Die verfallenen Häuser, die vorher von längst ermordeten russischen Juden bewohnt gewesen waren, waren schnell überfüllt - später ankommende Menschenladungen aus Deutschland erreichten deshalb nicht einmal mehr dieses Ghetto – sie wurden gleich nach ihrer Ankunft ermordet, allein 15.000 Menschen im Jahre 1942.

Im Ghetto bestimmte allgegenwärtiger Hunger den Alltag; Wassersuppen, die diesen Namen kaum verdienten, drangvolle Enge; unbeschreibliche Kälte, Todesschüsse beim Holzsammeln, endlose Quälereien bei gnadenlosen Arbeitseinsätzen ... und wer all das überlebte, auf den warteten schließlich die berüchtigten „Gaswagen“. 

Die Gedanken, die Gefühle, die Ängste, vielleicht auch die kleinen Hoffnungsschimmer, mit denen die jüdischen Bremer ihre beschwerliche letzte Reise antraten, mit der sie sich im Ghetto von Minsk einzurichten versuchten, bis ein sinnloser Tod einen grausamen Schlusspunkt setzte, kann wohl keiner von uns wirklich ermessen.

Aber das fürchterliche Schicksal dieser jüdischen Frauen, Männer und Kinder aus Bremen – und aller anderen Opfer des Nazi-Terrors – kann uns Mahnung sein, Unrecht nicht widerspruchslos hinzunehmen. Nicht in Bremen, nicht in Minsk und auch nicht anderswo.

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